Zitiert aus „Schminke Maske Körperkunst“ Beat Frutiger, Zytglogge Verlag 1991 13
Gemisch aus Glycerin und reinen, ungifti-
gen Farbpigmenten. In grossen Kübeln wur-
den verschiedene Farben bereitgestellt und
in Kartonbecher abgefüllt an die Badegäste
verteilt. Wir Schüler machten beim Schmin-
ken den Anfang und übernahmen später die
Funktion der“ Animateure“. Da mit der ziem-
lich flüssigen, schmierigen Farbe grosszügig
ohne Einzelheiten geschminkt werden muss-
te, malte ich meine eine Körperseite weiss,
die andere dunkelblau an. Dies hatte einen
interessanten Nebeneffekt: Auf der weissen
Körperseite fror ich bald, während ich auf der
blauen Hälfte immer wärmer wurde. Zudem
bot ich auch nicht gerade einen erfreulichen
Anblick, sagte mir doch eine Frau am nächs-
ten Tag, die zweigeteilte Person hätte sie so
erschreckt, dass sie davon geträumt hätte.
Die Schminkaktion nahm ihren geplanten
Lauf. Einige der Badegäste zeigten zwar kein
Verständnis dafür, sehr viele aber machten
zuerst zaghaft, dann mit Begeisterung mit.
Einige, die sich zuerst nur ein paar Farbtupfer
auf Gesicht und Körper setzen wollten, wa-
ren am Schluss mit einer dicken Farbschicht
bedeckt, in allen möglichen Farbkombinatio-
nen als Folge der verschiedenen Versuche.
Im Laufe der Aktion zeigte sich, dass einfa-
che flächige Arbeiten mit wenigen Farben
am wirkungsvollsten waren, so zum Beispiel
der ganz am Anfang beschriebene „grüne
Marsmensch“. Es gab aber auch rote und
blaue Strümpfe, geringelte Socken, Tupfen
und Zickzacklinien, Abdrücke von Händen,
Clown-Gesichter und viel abstrakte neoex-
pressionistische Malerei.
Viele Leute bemalten sich selbst, Freun-
de strichen sich gegenseitig an, aber auch
Unbekannte halfen einander spontan. Den
einen ging es ums Schmieren, da sich die
Farbe äusserst gut dafür eignete, den an-
dern ging es um den Körperkontakt, wie das
beim Eincremen mit Sonnenschutz manch-
mal auch der Fall ist, und einige hatten sogar
eine genaue Vorstellung, wie sie aussehen
wollten: „ganz bunt mit vielen Mustern, mach
einfach etwas“, „so weiss, und dann an Ar-
men und Beinen langsam ins Hellblau“, „mal
mir auf die weisse Grundierung mit Blau zwei
schöne Augenbrauen mit Lidschatten und ei-
nen blauen Mund, die Brustwarzen mit Blau
mach ich mir dann selber“, USW.
War man der Farbe endlich überdrüssig oder
wollte etwas Neues ausprobieren, tauchte
man in die Aare,schwamm ein Stück, freute
sich am farbigen Wasser und entstieg dem
Fluss wieder menschlicher. Einzig das gelbe
Pigment war so fein gerieben, dass es in die
Poren eindrang und am nächsten Tag, aller-
dings in stark abgeschwächter Form, noch
sichtbar war. Einige wagten sich sogar in die
Stadt hinauf. Man fragte sich, ob „oben ohne“
unter diesen Umständen dort auch erlaubt
sei, und soviel ich weiss, nahm niemand
gross Anstoss daran.
Rückblickend stelle ich fest, dass damals
wichtige Elemente des Schminkens offen-
sichtlich wurden: Die Lust am „Mischen, Su-
deln und Manschen“, von der Goethe sagt,
dass sie „dem Menschen angeboren“ sei,
das Staunen darüber, wie sich Menschen
äusserlich verändern, die hemmungslose
Freude, sich unter einer Maske zu präsentie-
ren, der spontane Körperkontakt. Der Körper
wurde als dreidimensionales Gebilde erfah-
ren, die Beschaffenheit der Schminke zwang
zu grossflächigem Malen über Rundungen
und Vertiefungen hinweg, und selten wurden
einzelne Körperpartien als Mal-Fläche gese-
hen. Schminken ist in diesem Sinn „dreidi-
mensionales GestaIten“.
Der Verstoss gegen
das „Natürliche“
In den siebziger Jahren überrollte eine Natu-
risten- oder FKK-Welle Europa von Norden
nach Süden und erreichte schliesslich auch
Griechenland. Gedankenlos drangen viele
neue Anhänger der Freikörperkultur als Tou-
risten in eine Kultur ein, die das Nacktbaden
als anstössig empfindet. Mit der Begründung,
natürlich zu sein, opferten sie ihre Haut den
ungewohnt heissen Sonnenstrahlen. Nie
zuvor und nie danach habe ich so viele, so
starke und so verschiedene Sonnenbrände
gesehen: Nur wenige Sonnenanbeter waren
ganz weiss und röleten sich einigermassen
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