8 Zitiert aus „Schminke Maske Körperkunst“ Beat Frutiger, Zytglogge Verlag 1991
hat sich der Fruchtbarkeitskult mit seinem
Maskenturn am stärksten bis in unsere Tage
gehalten, nämlich im Karneval(Orloff Alexan-
der, „Karneval“, Perlinger verlag 1980). Ur-
sprünglich ein zeremonielles Fest zur Wie-
derkehr der Fruchtbarkeit im Frühling, hat er
sich schon im antiken Rom zu einer Art Ven-
til für den sozialen Unmut mit einem Rollen-
tausch von Sklaven und Herren gewandelt.
Aus diesem Rollentausch heraus hat sich
dann die Maskerade entwickelt. Diese wird
heute bei vielen nur noch um ihrer selbst
willen veranstaltet, was soweit gehen kann,
dass Maskierte nicht einmal mehr wissen,
was sie eigentlich darstellen. Die Maskerade
ist zum inhaltsleeren Spiel geworden.
Das spielerische Schminken kann aber auch
mehr oder weniger ernste Hintergründe ha-
ben, wie das nachfolgende Beispiel zeigt:
Jugendliche verkleiden und schminken sich
oft am letzten Tag ihrer Schulzeit. Zu einem
solchen Schulabschluss erschien ein Mäd-
chen in kurzem Minijupe, mit Netzstrümpfen
und stark geschminkt. Da ich mir nicht vor-
stellen konnte, wie sich diese Verkleidung
mit seiner emanzipierten Einstellung verein-
baren liesse, fragte ich danach und erhielt
als Antwort, dass dies die letzte Gelegenheit
sei, diese Maske und ihre Wirkung gefahrlos
auszuprobieren. Dies zeigt, dass die Maske-
rade zum Schulabschluss eine wichtige so-
ziale Funktion erfüllen könnte und vielleicht
auch eine Art Initiationsritus darstellt.
Auch beim Personen- oder heutigen Star-
kult wird geschminkt. Dort pflegen sich ent-
gegen jedem andern Brauch auch Männer
wieder grell zu bemalen. Diese Maske hebt
die Stars aus der Masse hervor und macht
sie als solche erkennbar. Ihre Fans ahmen
sie nach oder bekunden mit Schminke eine
Gruppenzugehörigkeit. Augenfälligstes Bei-
spiel ist die Rocky-Horror-PictureShow.
Aber auch Sport-Fans schminken sich, ka-
nadische Eishockey-Fans beispielsweise,
indem sie ein rotes Ahornblatt über das gan-
ze Gesicht malen. Damit setzen sie ein äus-
seres Zeichen ihrer Gruppenzugehörigkeit.
Ähnlich drücken Naturvölker ihre Stammes-
oder Familienzugehörigkeit aus, oder sie
zeigen, welche Rolle sie im sozialen Gefü-
ge spielen (Leni Riefenstahl, „Die Nuba von
Kau“).
Rolle
Es spielt für jedermann eine Rolle, eine Rolle
zu spielen. Jeder will auf einem bestimmten
Gebiet ernst genommen werden, Anerken-
nung finden und zu einem bestimmten Ziel
gelangen. Indemman die richtige Rolle spielt,
findet man gesellschaftliche Anerkennung,
erhält den gewünschten Posten, kommt zu
Reichtum oder zum ersehnten Partner.
Ausdruck eines Teiles der Persönlichkeit
und Rollenspiel können identisch sein, aber
auch mehr oder weniger weit voneinander
entfernt liegen. Wichtig ist, dass eine Rolle
fast zwingend nach einer Maske verlangt,
eine Maske in den meisten Fällen zu einer
Rolle zwingt. ln den Schminkkursen ist es in-
teressant, immer wieder zu beobachten, wie
eine nur zu Übungszwecken geschminkte
Maske den Träger zum Spielen der entspre-
chenden Rolle verleitet, obschon er dazu
überhaupt keinen Anlass hätte, hat er ja in
den meisten Fällen die Maske nicht einmal
selbst gewählt. Hugo Ball beschreibt dieses
Phänomen 1916 in seinem Dada-Tagebuch
als die „motorische Gewalt“ der Maske (DU
Nr.2 1958).
In unserer heutigen Zivilisation wird die
Schminkmaske für das tägliche Rollenspiel
fast nur von Frauen benützt, die Männer sol-
len aber, von Reklame kräftig unterstützt,
im Vormarsch sein. Mit dem Schminken im
Alltag wird ein dreifacher Zweck erfüllt: Ers-
tens dienen die Cremen der Pflege und dem
Schutz der Haut, zweitens will man damit
dem modischen Schönheitsideal möglichst
nahe kommen. Diese beiden Aspekte sind
im Begriff Kosmetik (von griech. schmücken)
enthalten. Drittens kann damit auch noch eine
Gruppenzugehörigkeit ausgedrückt werden.
Es gibt das extrem natürliche Make-up (für
„Müesli-Fans‘‘), das sportliche Make-up (für
die ewig Jungen), das dezente Make-up (für
die Karriere-Frau), das flippige Make-up (für
die Kreativen) usw. Hier kommt Rollenver-
halten zum Ausdruck. Jugendlichkeit und
1,2,3,4,5,6,7 9,10,11,12,13,14,15,16