14 Zitiert aus „Schminke Maske Körperkunst“ Beat Frutiger, Zytglogge Verlag 1991
gleichmässig. Die meisten waren am ganzen
Körper gebräunt, ausgenommen an jenen
Stellen, die früher der Badeanzug bedeckt
hatte. Und da gab es nun alle Farbvarianten
zu sehen: weiss, rosa, rot, knallrot. ..
Dieses Bild wollte ich nun kürzlich in einer
gesteigerten und überspitzten Form darstel-
len: Von einem übertrieben rot bemalten Kör-
per sollte sich die sonst vom Bikini bekleidete
Haut hell abheben. Gewissenhaft überlegte
ich,an welchem Badeplatz ein solches Pro-
jekt realisiert werden könnte, ohne Anstoss
zu erregen. Dabei kam ich auf die Idee, dahin
zu gehen, wo es sowieso Naturisten gibt, wo
also das Nacktbaden erlaubt ist oder wenigs-
tens toleriert wird. In der Nähe eines bekann-
ten FKK-Gebietes, an einem grossen Bach
in wunderschöner Naturlandschaft, schmink-
ten wir, etwas im verborgenen, unter einem
Brückenbogen. Von der Brücke aus machten
wir erste Fotos. Die wenigen Spaziergänger
schauten kurz und interessiert zu und fanden
die rote Frau mit dem weissen „Bikini“ sogar
toll und nicht anstössig.
Im eigentlichen Naturistengebiet suchten wir
später zwischen den weit verstreuten Nack-
ten einen P1atz, wo wir, wiederum ungestört
und ohne jemanden zu stören, noch einmal
fotografieren konnten. Ein älterer Herr schau-
te uns in anständigem Abstand längere Zeit
dabei zu, sonst wurden wir kaum beachtet
Eine Stunde später tauchte zweihundert Me-
ter entfernt ein nackter Mann hinter einem
Gebüsch auf, warf mit Steinen und schrie
etwas, das wir wegen des rauschenden
Wassers nicht verstanden. Er näherte sich
allmählich, überquerte sogar den Bach und
schleuderte, auf Wurfweite herangekommen,
wiederum zwei Steine und rief dann mehr-
mals: „Sauhund“, „Arschloch“ und dann: „Wa-
rum ‚machst du so was 1989“ Mehr war nicht
zu erfahren. Nachdem ich ihm versichert
hatte, dass wir sofort gehen würden, zog er
schimpfend ab. Zwei Männer, die den Vor-
fall mit verfolgt hatten, fragten uns auf dem
Rückweg erstaunt, aus welchen Gründen wir
angegriffen worden seien.
Zuerst dachte ich, ich hätte mehr Mut zeigen
und das Gespräch suchen müssen, um mehr
über die Hintergründe zu erfahren. Ich weiss
noch heute nicht, was den Mann eigentlich
gestört hat der Sonnenbrand, die Farbe, das
Fotografieren oder alles zusammen. Je mehr
ich aber darüber nachdenke, umso neben-
sächlicher scheint mir die Frage.
Der Naturist empfand wohl das Ganze als
Verstoss gegen das Natürliche, und damit
hatte er eigentlich recht. Ich hatte mich nur
darum gekümmert, ob es jemanden stören
könnte, dass mein Modell ohne Kleider war.
Dass ein Nackter sich daran stossen könn-
te, dass ich einen Menschen im Widerspruch
zur Natur abbildete, daran hatte ich nicht ge-
dacht.
Blick in die Zukunft
Sagen und Märchen berichten oft vom
Wunsch des Menschen, etwas über seine Zu-
kunft zu erfahren, erzählen dann aber meis-
tens, dass das Kennen der eigenen Zukunft
dem Menschen doch Mühe bereiten würde.
Wir wissen alle, dass wir älter werden, und
haben auch eine Vorstellung davon, wie sich
das Aussehen dabei verändert Können wir
aber unser Gesicht sehen, wie es mit sechzig
oder achtzig Jahren aussieht, beginnen wir
erst ernsthaft darüber nachzudenken. Beson-
ders Frauen, aber auch Männer erschrecken
oft, wenn sie plötzlich nicht mehr jugendlich
aussehen. Dabei mag der Verlust an Attrak-
tivität eine Rolle spielen, wichtiger aberist
wahrscheinlich zu bemerken, wie kurz das
Leben ist, und die Nähe des Todes zu spo-
ren. Man gewahrt die eigene Gebrechlich-
keit, die dann meistens auch durch Haltung,
Gesichtsausdruck und Bewegungen gespielt
wird . Aber auch Wunschvorstellungen wer-
den gespielt Mütterchen und Väterchen, die
zusammen auf dem Bänklein sitzen; man
möchte nicht allein alt werden.
Mit dem eigenen Alteer hat sich der Künstler
Miguel Casanovas auseinandergesetzt. Da-
bei entstand auch eine Reihe von Schmink-
masken in verschiedenen Altersstufen. Sie
zeigen diesen Alterungsprozess auf ein-
drückliche Weise und haben beim Künstler
grosse Betroffenheit ausgelöst, obschon er
auf die Veränderung vorbereitet war.
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