Zitiert aus „Schminke Maske Körperkunst“ Beat Frutiger, Zytglogge Verlag 1991 3
Vorwort
Zerstörung andererseits wird nirgends so
hautnah erlebt wie bei der Maskenbildnerei
oder beim Schminken, wenn die Kunst am
eigenen oder fremden Körper realisiert wird.
Wenn man sich schminkt oder auch kleidet,
entsteht ein neuer Mensch (Kleider machen
Leute), der alte existiert nicht mehr.
Erst beim Schminken wurde mir klar, dass
Kunst und Gestaltung wahrscheinlich immer
etwas mit dem Körper zu tun haben (Michel
Thévoz, „Der bemalte Körper“, ABC Ver-
lag Zürich 1985). Die vermeintliche Unvoll-
kommenheit gegenüber der Natur, die der
Mensch empfindet, soll behoben werden.
Beim Schminken wird auch deutlich, wie der
Mensch durch Gestaltung zu einem Produkt
seiner künstlerischen Ambitionen und Reali-
sationen wird.
Beuys sagt: Kunst= Mensch (Andreas Mäck-
ler, „Was ist Kunst“, Dumont TB 197, 1989),
immer mehr gilt aber: Mensch = Kunst, da an
ihm immer mehr künstlich ist. Mit dem Körper
und der Kunst werden beim Schminken auch
die Beziehungen desMenschen zumMitmen-
schen und zum Überirdischen· ausgedrückt.
Kunst (und Schminken im besonderen) ist
also mit Religion, Magie, Kommunikation
und Erotik verknüpft (Michael Gill, „Image Of
The Body“, The Bodley Head, 1989). Über-
legungen dieser Art halte ich für notwendig,
bevor man mit Schminken beginnt. Man be-
wegt sich dabei oft in den Grenzbereichen
von Ethik, Moral, Religion, Sexualität und
dem Menschlichen überhaupt. Allerdings gibt
das Schminken die Möglichkeit, sich mit die-
sen Dingen auseinander zu setzen und dabei
der Frage nachzugehen, warum (und ob) der
Mensch sich und seine Umwelt so systema-
tisch zugrunde richtet. Zudem gibt es dem
Künstler die Gelegenheit, einmal nicht die
Selbstdarstellung, sondern die Darstellung
des Mitmenschen wenigstens zu versuchen.
Das Modell empfindet das auch als positiv.
Weil Schminkkünstlerinnen immer Modelle
brauchen, sollten sie auch das Modell-Sein
ausprobieren.
Maskenbildner und Modell sind, wie Künst-
ler und Kunstwerk wahrscheinlich auch,
ursprünglich identisch. Sich selbst darzu-
stellen, mit dem eigenen Körper oder ei-
nem Abbild, mit Tönen oder Musik, Sprache
oder Literatur, ist sicher untrennbar mit dem
Menschsein verknüpft. Es gibt Theorien,
dass die ersten Menschen nur sich selbst
dargestellt hätten. Kinder (das beweisen die
psychologischen Tests mit Kinderzeichnun-
gen) stellen beim Zeichnen im wesentlichen
sich selbst dar (auch wenn sie einen Baum
zeichnen). Vom Künstler wird gefordert,dass
er sich selbst darstellt, auch wenn er einen
Pfirsich malt. Dies muss im Stil des betref-
fenden Künstlers geschehen, und auch die
Tatsache, dass es sich um einen Pfirsich und
nicht um eine Schraube handelt, muss etwas
mit dem Wesen des Künstlers und nicht etwa
mit dem des Pfirsichs zu tun haben. Gestal-
tung ist also Selbstdarstellung!?
Das Gestalten übt eine gewaltige Faszinati-
on auf den Menschen oder Künstler aus, da
das gestaltete Objekt gleichsam ein Teil sei-
ner selbst wird. Er vergisst dabei aber, dass
er das Objekt, so wie es ursprünglich war, mit
seiner Gestaltung zerstört hat. Es sollte ei-
gentlich nachdenklich stimmen, was der Ge-
staltungswille des Menschen grundsätzlich
an Mensch und Umwelt vollbringt. Wo immer
ein vermeintlicher Fehler entdeckt wird, wird
gestaltet und der „Fehler“ behoben. Und wäre
einmal etwas wirklich vollkommen, schön
und göttlich: Die Menschen sagen, es wäre
wie der Mensch, Sinnbild der Schönheit,
ideal in seinen Proportionen, Massstab für
Schönheitsgesetze, nach dem Bilde Gottes
geschaffen, Gegenstand des obligatorischen
Studiums für jeden Künstler, deshalb unend-
lich viele Male festgehalten in Zeichnungen,
Statuen, Fotos und dafür vom Künstler immer
speziell gestaltet, hergerichtet, verändert,
in seiner ursprünglichen Schönheit zerstört.
Gestaltung ist also (Selbst-)Zerstörung!?
Dieser Dualismus oder Zwiespalt von Selbst-
darstellung und Erschaffen einerseits und
1,2 4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,...16