12 Zitiert aus „Schminke Maske Körperkunst“ Beat Frutiger, Zytglogge Verlag 1991
gerer Zeit bei mir Modell war, hat mir in ei-
nem Brief am Schluss dafür gedankt, dass
die Schminkarbeit wesentlich zur Heilung
ihrer Magersucht beigetragen habe. Mir war
vorher nichts aufgefallen, einiges konnte ich
mir nachher‚ erklären, und Ärzte haben mir
bestätigt, dass eine solche Heilung möglich
sei. Das Wesentliche an diesem Fall scheint
mir zu sein, dass die „Therapie“ in einer nicht
therapeutischen Situation stattfand. Dies wird
auch von Dr. med. P. Schwer (Klinik für Kin-
der-und Jugendpsychiatrie, Essen) in einem
Vortrag zum Kunstprojekt „Unart“ betont. Da-
bei handelt es sich um Schminken und Mas-
kenbilden von psychisch erkrankten Jugend-
lichen, gemeinsam mit Klinikmitarbeitern und
Künstlern. Dabei wird ausdrücklich auf eine
primär nicht therapeutische Situation Wert
gelegt. Das sonst häufige Gefälle zwischen
Arzt und Patient wird so verhindert: Der Pati-
ent tritt aus der Versager-, Sündenbock- und
Objektrolle heraus und wird Subjekt, auch
als „Auftraggeber“ an den „Künstler“ zur Re-
alisation einer Maske an sich selbst oder als
aktives Modell. Diese Aktivierung des Pati-
enten ist therapeutisch wirksam. Die Maske
übernimmt bei vielen Patienten die Funkti-
on einer Schutzschicht (gleich wie die Klei-
dung), mit der man zwar auffallen und Blicke
auf sich ziehen kann, mit der man aber auch
fähig ist, diese Blicke abzuwehren, zu parie-
ren. Dadurch, und auch bei der Herstellung
der Maske, ist eine intensive Kontaktaufnah-
me möglich; nur bei fehlenden Ich-Grenzen
(psychotische Patienten) scheint die Haut als
Kontakt- und Berührungsorgan gemieden zu
werden.
Die Schminke, die Maske und die Herstel-
lung derselben sind also Kommunikation,
Sozialisation und Imitation. Aus der Naturge-
bundenheit wird eine soziale Gebundenheit.
Durch die Gruppenzugehörigkeit wird das
Selbstbild des einzelnen gestützt. Weiter wird
die Maske auch als Mittel zur Personwer-
dung erkannt (persona = wodurch geklungen
wird), wie das schon im Kapitel „Ausdruckei-
nes Teiles der Identität“ beschrieben wurde.
Sie ist das Mittel, mit dem wir unser Wesen
nach aussen hin repräsentieren können. Als
künstlerischer Prozess, nicht als Therapie (!),
werden so Zeichen und Signale gesetzt und
Symbole geschaffen, die nicht nur bedeut-
sam, sondern auch wirksam sind.
Der elementare Ein-
druck
Als ich das erste Mal einen vollständig be-
malten Menschen sah, grasgrün am ganzen
Körper samt Haaren und Badehose, auf ei-
nem grünen weiten Rasen, war das ein Er-
lebnis, das unauslöschlich in meiner Vorstel-
lung haften geblieben ist. Das Wesen hatte
eigentlich nichts Menschliches mehr, eher
etwas Ausserirdisches, etwas, auf das der
Begriff Marsmensch treffend gepasst hätte.
Dabei war es nicht etwa niedlich, künstlich
oder ein technisches Objekt, wie man sich so
ein Marsmännlein vorstellt, sondern es war
real und dadurch bedrohlich. Damals muss
mich die Leidenschaft für das Schminken ge-
packt haben.
Das Happening
Im Jahre 1979 baute Walter Kretz im Marzili
Bern eine bewegliche Betonplastik. Ich war
als Zeichenlehramtskandidat Schüler bei ihm
im Fach „Dreidimensionales Gestalten“. Als
eine Art Vernissage nach der Fertigstellung
der Plastik plal)te er eine grosse Schminkak-
tion im Marzilibad, das damals gerade seine
berüchtigte Berühmtheit erlangt hatte. Wäh-
rend der Planungsphase hielt uns Walter
Kretz auf dem laufenden, besprach sich mit
uns, und wir sicherten ihm auch zu, ihn bei
der Durchführung zu unterstützen.
Die ersten Probleme, nach Bewilligung und
Finanzierung, ergaben sich bei der Schmin-
ke. Normale Theaterschminke war zu teuer.
Man musste selbst etwas basteln und brauen,
ungefährlich, hautfreundlich und abwasch-
bar. Ausserdem sollte die Schminke in gros-
sen Mengen leicht herstellbar sein, denn wir-
rechneten mit mehreren hundert Teilnehmern
aus dem Bad. Die Lösung fand sich in einem
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