Zitiert aus „Schminke Maske Körperkunst“ Beat Frutiger, Zytglogge Verlag 1991 9
modische Schönheit machen dazu,als über-
geordnete Rolle, die Frau attraktiv und be-
gehrenswen. Wie sinnlich oder verführerisch
sie sein darf, ohne Anstoss zu erregen, wird
weitgehend von der Mode diktien. Lippenfar-
be, aber auch Lippenform und Grösse, wer-
den dabei zum Beispiel vorgegeben (Kunst
+ Unterricht, Heft 11, 1971).
Vom gesellschaftlichen Rollenverständnis
her müssen Männernicht unbedingt durch
ihr Äusseres verführerisch wirken, sie müs-
sen Autorität ausstrahlen. Die Maske dafür
wurde in vielen Epochen mit den Gesichts-
haaren gestaltet, mit Bart und Schnurrbart.
Entscheidend über Leben und Tod ist die
Maske für eine Rolle in der Illegalität. Spio-
ne, Terroristen, aber auch Journalisten und
Filmregisseure benötigen dabei neben Klei-
dung und Frisur auch Schminke, damit die
Maske perfekt wird. Was man beim Spielen
der Rolle in einer so perfekten Maskierung
empfinden kann, ist in den Zitaten von Migu-
el Littin auf eindrückliche Weise, geschildert.
Günter Wallraff und andere haben die Erfah-
rung gemacht, dass man in der Maske, z.B.
eines Türken, von den Mitmenschen anders
behandelt wird. Das zeigt, dass der Mensch
hinter seiner Rollenverkleidung gar nicht
richtig erkannt wird, manchmal nicht einmal
nach längerer Bekanntschaft. Daraus Iiesse
sich folgern, dass das Individuum ohne Rol-
lenverkleidung kaum von den Mitmenschen
wahrgenommen wird („die Unscheinbaren“)
und daher auch einen Mangel an Kommu-
nikation hinnehmen muss. Ohne Rolle wird
man also zum unbeachteten Aussenseiter.
Es gibt aber auch Gruppen, die sich mit ih-
rer Maske bewusst in eine Aussenseiterrol-
le drängen, z.B. die Punks. Wesentlich bei
ihnen ist, dass einschneidende Veränderun-
gen des Äusseren vorgenommen werden,
welche kaum rückgängig zumachen sind und
so eine problemlose Wiedereingliederung in
die Gesellschaft verunmöglichen. Beispiele
sind Irokesenschnitt und Tätowierung. Die
grelle und bewusst unästhetische Schminke
vervollständigt des Bild (Ebeling Ingelore).
Rolle und Image (Kamper/Wulff, „Das
schwinden der Sinne“, Suhrkamp 1984), in-
nere Haltung und äusserer Schein, soziale
Stellung und das dazu passende „öffentliche
Gesicht“ gehören untrennbar zusammen.
Gerade die Personen, die sich stark der Öf-
fentlichkeit aussetzen müssen oder wollen,
werden deshalb bewusster auf ihr Äusseres
achten. Für die einen bedeutet das, dass
sie ihr Image einer Gruppe anpassen, für
andere, dass sie versuchen, sich ein abso-
lut einmaliges Gesicht zu verschaffen. Dies
trifft zum Beispiel auf Künstler zu, die in der
Öffentlichkeit arbeiten. Für sie ist Rolle und
Image ein besonders wesentlicher Bestand-
teil des Berufes.
Ausdruck eines Teiles
unserer Identität
Die Art, wie wir uns schminken, ist auch
eine Form oder Möglichkeit, einen Teil des
individuellen Wesens für andere und die ei-
gene Person sichtbar zu gestalten. Augen
und Lippen können in Form und Farbe be-
tont und hervorgehoben werden, man kann
zu seinem Muttermal im Gesicht stehen, es
noch mit dunkler Farbe betonen oder es weg
operieren lassen. Dieser sichtbar gemachte
Teilaspekt der Persönlichkeit ist meistens
modisch beeinflusst. So hat das Individu-
um die Möglichkeit, sich zu einer bestimm-
ten Gruppe zugehörig oder als Aussenseiter
zu bezeichnen, allenfalls unbeachtet in der
Masse unterzugehen. Ob jemand auffallen
will oder nicht, kann von einer momentanen
Stimmung oder vom Charakter abhängen.
Wenn wir unsere äussere Erscheinung ge-
nerell als Maske bezeichnen, werden viele
unserer Gefühle, Lebenslagen und Gemüts-
zustände auf diese Maske übertragen (Dold
Peter, „Maske und Kinderpsychtherapie“Fink
Verlag 1978). Damit dient die Maske der
nonverbalen Kommunikation. Meistens und
offensichtlich kommt dies bei der Kleidung
zum Ausdruck, es ist aber unbestritten, dass
zu einer festlichen Kleidung das festliche
Make-up gehört, dass bei der Trauerklei-
dung das Makeup dezent sein oder fehlen
sollte, oder dass man sich manchmal ein-
fach schminken möchte oder nicht. Je mehr
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