10 Zitiert aus „Schminke Maske Körperkunst“ Beat Frutiger, Zytglogge Verlag 1991
die ja nicht nur offenbarende, sondern auch
verhüllende Maske geändert, der jeweiligen
Situation angepasst wird, um so m~hr verliert
sie auch ihren maskenhaft verdeckenden
Aspekt. Ihr Träger sagt damit nicht mehr, ich
will nicht, dass ich erkannt werde, sondern,
mir ist wichtig, dass diese Seite meines Ichs
gesehen wird. Das Weglassen der Schminke
wird so in einer Kultur, in der die Schminke
eine grosse Verbreitung hat, logischerweise
ebenfalls zu einem Ausdruck einer inneren
Haltung.
Das Sichtbarmachen unserer Identität durch
Schminke wird vor allem wichtig, wenn tech-
nische Hilfsmittel zur Herstellung eines Ab-
bildes dieses so stark verfälschen, dass das
Individuum nicht mehr erkannt werden wür-
de. Das Problem gibt es im Fernsehstudio.
Es wird dort mit Schminke gelöst, bei Män-
nern und Frauen. Selbstverständlich müssen
dabei wenigstens die Männer im Endresultat
wieder ungeschminkt aussehen. In jedem
Fall soll die Persönlichkeit wiedererkannt
werden können. Der Visagist muss also ge-
nau genommen das Porträt einer Person auf
deren Gesicht malen (Retroschminken).
Spiel
Beim spielerischen Schminken sind mehr
oder weniger alle schon aufgezählten Aspek-
te vorhanden. So wie bei anderen Spielen
Gewinnen und Verlieren, soziales Verhalten,
Aggression und anderes erlebt und nach-
empfunden werden, so erleben wir uns auf
spielerische Weise als Engel und Teufel, Kö-
nige und Räuber, Indianer und Mohren, Aus-
serirdische und Tiere. Vorstellungen aus Kult,
Mythos und dem täglichen Lebenskampf
werden dabei nachvollzogen. Dabei findet
ebenfalls eine mehr oder weniger deutliche
Identifikation statt. Dass die Maske beinahe
zwingend zum Rollenspiel verleitet,haben wir
bereits festgestellt. Die spielerische Maskie-
rung kann eine vorübergehende Flucht aus
dem Zwang der Alltagsrolle in die Wunsch-
rolle sein, in die Rolle, die man gerne spielen
möchte. In den Karnevalsbräuchen hat sich
dieser Rollentausch schon im alten Rom bei
den Saturnalien herausgebildet. Die Skla-
ven wurden während der Festzeit zu Herren,
die sich von der Herrschaft bedienen lassen
konnten. Im Rahmen der Karnevalsfestlich-
keiten durften mit einer guten Maske auch
hie und da gewisse trotzdem herrschende
Spielregeln durchbrochen werden. Ein Bei-
spiel dafür finden wir in Bergengruens No-
velle „Der Teufel im Winterpalais“, wo ein
als Teufel verkleideter Schneider sich sogar
in den Maskenball des Zaren einschleichen
kann. Schminke als Fasnachtsmaskierung
wird vielerorts abgelehnt, sei es aus traditio-
nellen Gründen oder weil das Vorbinden der
fertigen starren Maske einfacher und prak-
tischer erscheint. Die Figur des Pierrot hat-
te ursprünglich eine Schminkmaske; da sie
aber so populär ist, wird die Maske in Venedig
zum vorfabrizierten Massenartikel (Abb. 8).
Gerade am venezianischen Karneval, auch
schon als Karneval der Eitelkeit bezeichnet,
wird häufig geschminkt. Neben Pierrot gibt es
dort noch weitere traditionelle Gestalten aus
der Commedia dell‘arte, die Schminkmasken
tragen: „Colombine“ und „I Innamorati“, heute
meistens im Barock- oder Rokokokostüm an-
zutreffen und geschminkt, wie wir das schon
imAbschnitt Kultur behandelt haben. Oft wird
das Gesicht vergoldet oder versilbert, als
starre Maske oder mit Schminke. Wie bei den
Porzellanmasken finden wir auch Gesichter,
die plakativ verziert sind.
Im Schauspiel jeder Art hat sich die Schmin-
ke als Maske für eine Rolle fast überall
durchgesetzt. Im Gegensatz dazu benutzte
man in der Antike für Theatervorstellungen
noch starre Vollmasken, und die Commedia
dell‘arte kennt seit der Renaissance Halb-
masken aus Leder für einige Charaktere.
Traditionellerweise wird auch bei der chine-
sischen Oper geschminkt, vom Schauspie-
ler selbst als Vorbereitung und Bestandteil
des Auftrittes. Dies steht im Gegensatz zum
westlichen Theater, wo meistens ein Mas-
kenbildner die Schauspieler schminkt. Im Fe-
men Osten ist die Theaterschminke vorwie-
gend plakativ, bei uns im Westen dagegen
vorwiegend plastisch.
Bei Kinderspielen konnte sich das Schmin-
ken wenig durchsetzen, wahrscheinlich, weil
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